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Ein Pfarrer, der den Beruf verfehlt
Veröffentlicht am 17.07.2004
in Kornwestheimer Zeitung
Ein Pfarrer, der den Beruf verfehlt
Abend zu 'Mörike als Pfarrer“ - neue EinblickeEin Nachfahre des berühmten Dichters berichtet: Matthias Mörike |
Kornwestheim (rb). Eine Art Wiedergutmachung am verlorenen Sohn war der Abend im Johannesgemeindehaus mit dem Thema 'Pfarrer Mörike“ - ein Abend auch mit neuen Einsichten über das Multitalent.
Ungewöhnlich groß war das Publikumsinteresse, vielleicht auch deshalb, weil man sich neue Erkenntnisse erhoffte oder ganz einfach, weil die Schwaben ihren Mörike lieben. Den Veranstaltern war es gelungen, die Vielseitigkeit des Pfarrers, Dichters, Zeichners und Musikers ins rechte Licht zu rücken, auch, weil zweifach aus der Sicht des Pfarrers und aus der näheren Sicht der Verwandtschaft referiert wurde. Kantor Matthias Nägele sang mit lyrischem Tenor Lieder nach Texten von Mörike, unter anderem die Vertonung von Hugo Wolf 'Herr schicke, was du willst“, am Klavier von Coralie Fassmann begleitet.
Bilder von Ludwig Richter gaben einen Eindruck der Zeit, das Pfarrhaus in Cleversulzbach war zu sehen. Überraschend erzählte Matthias Mörike, in Kornwestheim als Leiter der Kindersportschule bekannt, mit einem Schuss Humor über die Genealogie der Familie Mörike, während seine Frau über den Pfarrer berichtete.
Als Eduard Mörike 13 Jahre alt war, starb der Vater. Im damaligen Landexamen versagte der Schüler, wurde aber im Gnadenweg ins theologische Seminar aufgenommen, lernte dort Wilhelm Hartlaub kennen, für den er 'der verkörperte Poet war“. Es folgte das Tübinger Stift. Für Mörike hieß das: Arreststrafen wegen Unpünktlichkeit und Widerborstigkeit. Schon früh erkannte er seine Berufung zum Dichter. Mit 22 Jahren begann für Mörike seine 'Vikariatsknechtschaft“, die ihn in kurzer Zeit an elf Stellen führte. Die bekannteste ist sein einsames 'Reihernest“ Ochsenwang auf der Alb, Plattenhardt, wo er sich verlobte, und Cleversulzbach. Er litt unter Krankheiten, Geldsorgen, Verleumdungen und bat schließlich die Kirchenaufsicht, das Konsistorium um Entlassung. Zu diesem Zeitpunkt war Mörike 39 Jahre alt. Er erhielt ein Gnadengeld von umgerechnet 230 Euro im Monat.
Pfarrer Ulrich Theophil gab einen Einblick in die Lebenssituation eines Pfarrers im 19. Jahrhundert. Das Wandern des Vikars von Stelle zu Stelle gehörte damals zum Berufsbild, die Anfänger erhielten ein Zehntel des Pfarrlohnes, es gab mehr Bewerber als Stellen. Bis 1918 musste die Schulaufsicht übernommen werden. Im Dorf war das Leben des Pfarrers von Enge, Einsamkeit und Entbehrung geprägt. Kein leichtes Los für sie, wenn sie ihre Kinder studieren lassen wollten. Pfarrerin Karin Ott versuchte, ein Bild von den prägenden Kräften Mörikes zu zeichnen. Sie zitierte eine briefliche Aussage 'Ich bin gewiss, dass mich das Amt umbrächte“. Mörike richtet sich in Kontakten mit Freunden auf, lässt sich von Freund Hartlaub Geld und auch Predigten geben, schreibt nebenbei für eine Damenzeitschrift. Ihn stört aber das Thema Schulaufsicht.
Er kann sich gelegentlich in die Ironie retten, wenn er meint, 'man schimpft über den Hypochonder“. Pfarrerin Ott hält die Berufswahl Mörikes absolut für verfehlt, allerdings habe sich der Dichter interessanterweise an der Diskussion um das umstrittene Buch von David Friedrich Strauss 'Das Leben Jesu“ beteiligt. Im Umgang mit dem Weinsberger Mediziner Justinus Kerner kam ein ganz anderer Mörike zum Vorschein, eine tiefe persönliche Frömmigkeit, die aber dem damaligen Pietismus nicht vermittelbar war. Mörike, ein Mann in den Zwängen seiner Zeit, als Dichter gefeiert, beruflich gescheitert sollte seine individuelle Sicht des Glaubens doch nicht so vergeblich gewesen sein?
Matthias Nägele sang zur Einstimmung, Coralie Fassmann begleitete Bilder: rd |
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