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Abendmahlwein für 70 Pfennig und Schlafpulver für die Orgel
Veröffentlicht am 12.03.2004
in Ludwigsburger Kreiszeitung
Abendmahlwein für 70 Pfennig und Schlafpulver für die Orgel
Rund 100 Jahre alte Kirchenakten entdecktKORNWESTHEIM
(hps) – Was sich in einem Haus oder auch in kirchlichen Räumen im Laufe eines Jahrhunderts ansammelt, ist erstaunlich. Diese Erfahrung hat auch Renate Schwaderer beim Ausmisten des Kellers der Kirchenpflege gemacht.
Fanden sich doch in „dem Krempel“ noch die vollständigen Rechnungsakten von 1904 bis 1906. Zwei Weltkriege, Inflation und Bombenangriffe auf Kornwestheim haben sie komplett überlebt. Der Kornwestheimer Oberlehrer Christian Lober, der auch Kirchenpfleger war, hatte die Bücher bis hin zum Haushaltsplan geführt und damals war Pfarrer Martin-Ehregott Nestle sein Chef. Als Volumen für die Kasse waren 7127 Mark vorhanden.
Geld gab es nur für den Kirchenpfleger selbst, die Mesnerin und den Organisten. Hochinteressant, wie es um den Abendmahlwein stand. Er wurde vom berühmten Löwenwirt Kaufmann vom Gasthaus an der Straße nach Ludwigsburg geliefert, dessen Nachkommen dort noch heute wirtschaften. Ein halber Liter kostete zwischen 70 und 80 Pfennig. Für diese Summe musste seinerzeit etwa eine Stunde gearbeitet werden. Auch was die Kirchengemeinde zum Abendmahl brauchte, lässt sich nachvollziehen: Am Pfingstfest 1904 zwei Liter, am Karfreitag vier Liter Wein.
Wie die Einnahmen damals für die Kirchengemeinde standen, hat Christian Lober akkurat aufgeschrieben. Zehn Prozent der direkten Staatssteuer waren zu berappen und das ermöglichte damals schon im aufkommenden Reichtum der Bauern und Fabrikarbeiter der Gemeinde ein Rücklagekapital von 12 820 Mark, während der Zinssatz auch nicht viel höher lag als 100 Jahre später bei langfristigen Anlagen: drei Prozent.
Kam der Ludwigsburger Dekan vorbei, bekam er 37,08 Mark Diäten, also mehr als das neue Glockenseil, das 21 Mark kostete. Einnahmen, die sich rentierten, waren Trauungen. Die Traubibel, die in Stuttgart gedruckt wurde, kostete drei Mark. Die Spendenfreudigkeit war im Übrigen nach einem guten Herbst mehr als gut: 1904 kamen hier 112,84 Mark zusammen.
Wie genau Christian Lober arbeitete, ergibt sich aus einer Rechnung für 20 Pfennig Schlaf-Pulver. Damit klar war, wer hier der Unterstützung bedürftig war, schrieb er vor 100 Jahren auf die Rückseite „Schlafpulver für die Orgelblasbälge“.
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