Andacht- und Predigt Archiv
Zum Sonntag: Schicksal
Veröffentlicht am Sa, 10.04.2021
von Georg - Pfr. i. R. Schützler
„In einem südamerikanischen Wanderzirkus sah ich mal einem alten Jongleur zu. Er jonglierte mit seinen Zahnprothesen. Mit einem eleganten Griff entnahm er sie seinem Mund, führte seine Nummer vor und setzte sie danach mit einem ebenso selbstverständlich wirkenden Griff wieder hin, wo sie hingehörten. Danach schnallte er sich sein Holzbein ab und balancierte auf dessen Zehenspitze ein Tablett mit gefüllten Sektgläsern. Zum Schluss zog er sich die Perücke von der Glatze und ließ sich, die Arena umrundend, von den Zuschauern Münzen hineinwerfen. Dieser Mann hat, wie es scheint, seinem Schicksal eine lange Nase gezeigt.“ Soweit die Erzählung von Gudrun Pausewang.
Ja, wie gehen wir mit unserem Schicksal um? So, wie das Kaninchen vor der Schlange, vom Blick gebannt, erstarrt? Statt Schlange ist es der Bildschirm, über den die neuesten Coronazahlen flimmern, der uns bannt und in uns selbst zusammensinken lässt. Opfer der Pandemie.
Oder haben wir sie doch entdeckt, die Lebensenergien, die den alten Jongleur zum Lebenskünstler werden ließen. Gerne wüsste man, wie er dem Virus begegnet wäre, mit welchem Kunstgriff er sich der Krise entzogen hätte, um dem Lebenswillen einen Ausdruck zu verleihen.
Auf welche Kräfte konnte er trotz seiner Behinderung, trotz seines Schicksals zurückgreifen? Das Leben ist doch mehr als körperliche Unversehrtheit, als heiles Gebiss, mehr als eine virenfreie Welt – war das seine Grundhaltung? Oder teilte er gar mit dem biblischen Psalmisten das Urvertrauen, der uns den Spruch hinterlassen hat: „Mit dir, mein Gott, springe ich über Mauern.“ Es gibt Lebenskünstler, von denen man eine Menge lernen kann, um dem Schicksal eine lange Nase zu zeigen. Das Leben bleibt spannend.
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