Andacht- und Predigt Archiv
Zum Sonntag: „Ich füle mich tol“
Veröffentlicht am Sa, 18.07.2020
von Ann-Kristin Scholl
Gefühlt kamen in diesem Jahr besonders früh die kleinen und großen Straßenkünstler aus ihren Häusern hervor. Sie zauberten ganze Kunstwerke auf die Bordsteine. Erinnerungen wurden wach: An aufgeschlagene Knie, Gummitwist und eben Straßenmalkreide. Fast wurde ich ein bisschen neidisch: Wie gerne würde ich nochmal auf dem Boden sitzen und stundenlang die Straße anmalen. Doch nicht nur Bilder lassen sich malen, sondern auch Botschaften aufschreiben. Ich stieß auf einen Satz: „Ich füle mich tol.“ Eindeutig von einem Kind geschrieben. Was hat wohl das Kind erlebt? Wie hat es sich gefühlt, dass es so etwas auf die Straße schreibt? Kann ich ihm a la Küchenpsychologie ein übersteigertes Ego anhängen? Wohl kaum. Kam dieser Satz aus einem erfüllten Herzen? Lebensfreude pur? Ja, ich muss tatsächlich gestehen: Ich bin neidisch, unendlich neidisch auf solch eine ansteckende, fröhliche Freude am Leben. Das Kind wusste wohl noch nichts von den großen Enttäuschungen, die das Leben bereithalten kann, von den Niederlagen, dem Schmerz, der Not. Es war der Mittelpunkt seines kleinen Universums. Und dieses Universum war gut zu ihm. Das ist doch das, von dem wir alle träumen: Ein Lebensgefühl, ein Erlebnis, durch das wir uns so beschenkt fühlen, dass wir es allen mitteilen möchten.
Und da träume ich noch ein bisschen weiter: Die Menschen kommen fröhlich (zur Zeit jeder für sich) singend aus der Kirche. Sie malen es überall hin, sie rufen es sich gegenseitig zu: Ich füle mich tol. Ich fühle mich toll, weil ich ein geliebtes Menschenkind bin, weil ich in der Welt eines liebenden Gottvaters leben darf. Das wäre doch traumhaft
Vikarin Ann-Kristin Scholl, Remsec
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