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Zum Sonntag: Alles im Blick
Veröffentlicht am Sa, 29.05.2021
von Martin Merdes
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Asperg
Ein Klassiker der Denksportaufgaben lautet: „Ein Bauer ist unterwegs mit einem Wolf, einem Schaf und einem Kohlkopf und kommt an einen Fluss. Ein Boot liegt da zur Überfahrt. Es ist jedoch nur Platz für zwei. So klein ist es. Der Bauer kann also jeweils nur eines der Tiere hinüberbringen oder den Kohlkopf. Wie fängt er es nun an, dass ihm nicht der Wolf die Ziege oder die Ziege den Krautkopf auffrisst, während er unterwegs ist?“
Ich brauche Ihnen die Lösung nicht zu nennen, Sie kommen mit etwas Nachdenken selber drauf oder wissen sie schon längst. Aber eines ist klar: der Bauer löst die Aufgabe nur, wenn er an alles denkt, alles im Blick hat. Unser Alltag und was um uns herum passiert, gleicht allzu oft auch so einer Denksportaufgabe. Nur: ob wir da auch immer so logisch vorgehen wie beim Lösen des Rätsels? Alles im Blick behalten? Vieles im Leben kommt uns sehr kompliziert vor. Und dankbar nehmen wir Ratschläge an, die uns alles ein bisschen einfacher erklären. Einfache Erklärungsmuster und Lösungsvorschläge haben Hochkonjunktur. Schauen wir auf die politischen Diskussionen der letzten Jahre, stellen wir fest, dass meist immer nur ein Thema in den Medien bestimmend war, während andere Themen ausgeblendet blieben. Im Bild gesprochen: eigentlich ist das so, wie wenn der Bauer sich etwa nur um den Kohlkopf kümmert und Wolf und Schaf sich selbst überlassen würde. Das Ganze im Blick zu behalten ist wesentlich schwieriger und längst nicht so populär. Und ja, unsere Wirklichkeit ist kompliziert und vielschichtig, da ist es manchmal ehrlicher, diese Vielschichtigkeit auszuhalten und auszubalancieren, als vorschnell und populistisch eine einfache, einseitige Antwort zu geben.
Zu dieser Sichtweise lädt uns der morgige Sonntag geradezu ein. Am Sonntag Trinitatis, dem Dreieinigkeitsfest, sagen Christen, dass man Gott nicht nur auf eine Weise sehen kann. Wir können ihn nicht einseitig in ein Bild pressen. Deswegen nennt ihn die Kirchensprache sowohl Vater, Sohn und Heiliger Geist und redet vom Schöpfer, vom Erlöser und von der verborgenen Kraft, die uns begeistern und stärken möchte.
Unsere Erfahrungen mit Gott sind vielschichtig und manchmal auch widersprüchlich. Aber gerade in dieser Vielschichtigkeit eröffnet sich uns Christen der Zugang zur Fülle und Quelle des Lebens. Darum werden wir Christen und Christinnen ermutigt, immer offen für das Ganze zu bleiben, die Fülle im Blick zu behalten und die schnellen, einfachen Antworten zu hinterfragen.
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