Andacht- und Predigt Archiv
Zum Sonntag
Veröffentlicht am So, 12.02.2012
Vor Jahren war ich einmal in einem oberbayrischen Kloster zu Besuch. Den Namen weiß ich leider nicht mehr. Auf dem Altar war ein Bild des Kirchenvaters Augustin zu sehen. Er hatte eine Feder in der Hand. Er schrieb gerade an seinem berühmten Buch „De Trinitate“, über die Dreieinigkeit Gottes, eines der schwersten Gebiete der Theologie. Zu seinen Füßen spielte ein kleiner Junge. Er hatte einen Löffel in der Hand und in der anderen eine kleine Muschel.
Ich fragte jemand: warum das Kind, warum der Löffel und die Muschel? Mir wurde daraufhin erzählt:
Augustin sei einmal, grübelnd über die Geheimnisse der Dreieinigkeit, am Meeresrand entlang gegangen. Verwundert entdeckte er einen kleinen Jungen, der das Meer mit dem Löffel in eine kleine Muschel löffelte. „Was machst du denn da?“, fragte er ihn leutselig. Der Junge: „Ich will das Meer in meine Muschel löffeln.“
„Du kleiner Narr“, dachte er. Aber während er noch lächelnd weiterging, wurde ihm mit einem Schlag bewusst: „Du selber tust doch kaum anderes als das Kind, wenn du versuchst, die großen Geheimnisse Gottes und der Welt in deinen menschlichen Verstand zu füllen. Und du bildest dir ein, dass du die Geheimnisse Gottes mit deinem kleinen Kopf erfassen kannst!?“
Augustin brauchte sehr lange, bis er wieder im Stande war, erneut zur Feder zu greifen und nicht an seinem Werk zu verzagen.
Ich glaube, auch wir trauen uns manchmal zu viel zu, wenn wir versuchen über Gott und die Welt Bescheid zu wissen, wenn wir versuchen, die großen Geheimnisse des Lebens zu ergründen, wenn wir versuchen, mit einem kleinen Löffel das Meer in eine Muschel zu schöpfen, statt die Grenze zu sehen, die unserem Wissen und Verstehen gesetzt ist.
Die wöchentlichen Andachten
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