Andacht- und Predigt Archiv
Wie ist Jesus weiß geworden?
Veröffentlicht am Fr, 31.03.2023
von Stefanie Henger
Pfarrerin, Evang. Kirchengemeinde Kornwestheim - Pfarramt Heilig-Geist-Kirche
Sie wurde also hier geprägt und erinnert sich noch gut daran, dass sie auch gerne so eine blonde Barbie gewesen wäre. Oder wie sie gelernt hat, dass für die Anderen die richtige Antwort auf die Frage: „wo kommst du her?“ nicht das Ruhrgebiet ist, sondern die Heimat ihres Vaters. Sie wuchs in einer „kirchlich stark engagierten und belesenen Arbeiter*innenfamilie auf“. So lernte sie früh, dass sie einerseits anders ist, andererseits aber von Gott wunderbar geschaffen ist.
Später lernte sie Worte für das Gefühl des Andersseins zu finden und beschäftigte sich mit strukturellem Rassismus, der viel mehr ist „als individuelle Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung“. Er ist ein Teil der Gesellschaft und so beinhaltet er z.B., dass auch sie als hier aufgewachsene Frau of Color Gott und Jesus lange weiß gedacht hat, obwohl ihr doch klar war, dass Gott kein Geschlecht hat und kein Europäer ist. Und natürlich hinterfragt sie auch die Privilegien der weißen Menschen.
Dass sie letzten Donnerstag bei einer Lesung in einer Kirche tätlich angegriffen wurde, entsetzt mich. Ich stelle mir die Frage, wie sehr der Rassismus in unserer Gesellschaft verwurzelt ist.
Mir gibt das Buch insgesamt zu denken.
Teilhaben lassen will ich Sie heute am Kapitel, „wie Jesus weiß geworden ist“:
Aus der Bibel wissen wir nicht viel über das Äußere von Jesus. Die Forschung sagt, dass er aussah wie Menschen, die heute im Irak leben. Wegen des Bilderverbots gab es bis ins 3. Jhd keine Abbildungen von Jesus. Die ersten uns bekannte Bilder stammen aus den römischen Katakomben. „Jesus wird dort als guter Hirte dargestellt, mit weißer Haut, Tunika und kurzem lockigem Haar. Also ziemlich römisch“. Und als das Christentum zur Staatsreligion wurde, kamen Bilder vom allmächtigen Herrscher mit Bart und langem Haar dazu. Natürlich war das nicht so gemeint, dass Jesus wirklich so ausgesehen haben soll. Individualität kam erst später in der Malerei auf. Was dargestellt wurde, hatte eine Funktion: Der Hirte beschützt, der Allmächtige herrscht. Die weiße Hautfarbe war sozusagen nebensächlich, aber eben prägend. So kam die weiße Hautfarbe dem Mittelalter entgegen, da Jesus so weniger jüdisch aussah. Langsam wurde der Jude Jesus zum Christ. Und als die Missionare Jesus in die Welt trugen, hatte der auch eine weiße Hautfarbe und nicht die Hautfarbe derer, die kolonialisiert wurden. „Jesus wurde inkulturiert, ohne zu benennen, dass dies passierte. Es wurde als Standard und Wahrheit verkauft“.
Wenn Sie an Jesus denken, welche Hautfarbe hat er?
Und wenn wir sagen, dass Jesus in den Unterdrückten dieser Welt zu finden ist, verändert das in unserer Vorstellung die Hautfarbe von Jesus? Verändert das unsere Haltung zu Menschen mit anderer Hautfarbe als der unseren? Oder warum nicht?
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