Andacht- und Predigt Archiv
Opa und die Russen
Veröffentlicht am Fr, 08.09.2006
von Volker Germann
Diakon, Evang. Kirchenbezirk LB - Bezirksämter
-
Opa konnte die Russen nicht leiden. Regelrecht böse auf sie war er. Immer schon. Die haben ihn nämlich vertrieben, damals, Anfang 1945, aus Ostpreußen.
Da musste er mit seiner Familie Haus und Hof verlassen, nur das Nötigste verpackt in ein paar Koffern und Säcken auf dem Pferdegespann Richtung Westen.
Über fünfzig Jahre sollte es dauern, bis er sein Dorf und die Reste des elterlichen Bauernhofs wieder sehen konnte. Die Grenzregion bei Königsberg war nämlich militärisches Sperrgebiet der Sowjets. Erst nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs und der Öffnung der Grenzen Anfang der 90er-Jahre konnte man wieder dorthin reisen.
Das machte Opa dann auch als 76-jähriger, - mehr oder weniger zufällig. Er schloss sich einer Kleider-Hilfslieferung des Roten Kreuz’ an. Nicht etwa aus reiner Nächstenliebe oder weil er die Russen besonders mochte. (Im Gegenteil – s. o.) Er wollte nur die Gelegenheit wahrnehmen, noch einmal in seinem Leben seine Heimat zu sehen.
Und so fuhr er 4 Tage nach Ostpreußen, mit gepackten Kisten und Säcken voller Kleidern, - Sachen die die Menschen dort am nötigsten brauchten.
Als Opa wiederkam, hatte er viel zu erzählen:
dass in dem Dorf kaum noch ein Gebäude steht, dass alles ziemlich heruntergekommen und verwahrlost ist, dass er aber noch die Grundmauern seines Geburtshauses gefunden hat und die alte Eiche auf dem Hof und die Stelle an dem kleinen Fluss, wo sie als Kinder im Sommer immer gebadet haben.
Und: dass die Leute – also die Russen, die da jetzt leben – unwahrscheinlich gastfreundlich waren. Die haben ihn und die anderen Leute vom Hilfstransport nämlich ganz herzlich empfangen.
Und von dem Wenigen, was sie dort zum Leben hatten, haben sie ein tolles Festessen für die Gäste gekocht. Und dann haben sie zusammen gesessen bis spät in die Nacht, gegessen und getrunken, gelacht, sich mit Händen und Füßen verständlich gemacht.
Und am nächsten Tag kam die nächste Einladung und der nächste Abend mit Essen und Trinken und Reden und viel Lachen.
Ja, - damit habe er nicht gerechnet, sagte Opa. Die Russen dort könnten ja schließlich auch nichts dazu, dass das alles so gekommen ist. Das wären ganz liebe Leute und die wären ganz arm dran. Und trotzdem hätten die für sie das „letzte Hemd“ gegeben.
Im Jahr darauf ist Opa dann noch einmal nach Ostpreußen gefahren, inzwischen 77. Wieder mit dem Hilfstransport in seine alte Heimat. Zu den Russen. Die kann er inzwischen etwas besser leiden.
Die wöchentlichen Andachten
evangelischer bzw. ökume-
nischer Autorinnen und Autoren (Angedacht KWZ
und Zum Sonntag, LKZ)
werden zeitnah in diesem
Archiv erfasst.