Andacht- und Predigt Archiv
In den Tagen danach
Veröffentlicht am Fr, 20.03.2009
Noch immer fassungs- und sprachlos stehen wir vor den Ereignissen von Winnenden und Wendlingen – ein Jugendlicher verliert den Bezug zur Realität und tötet SchülerInnen und Lehrerinnen seiner ehemaligen Schule und ihm gänzlich unbekannte PassantInnen.
Es ist vor allem eine Leere, die diese Ereignisse in uns hinterlassen, eine Leere, weil geliebte und nahe stehende Menschen völlig unerwartet weggerissen wurden. Und ein Leere, weil unser Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit und unser Vertrauen, dass wir unsere Welt schon verstehen, so abrupt in Frage gestellt wurde.
Aber eigentlich verstört uns, dass wir noch nicht einmal genau wissen, worin diese Leere besteht. Wir verstehen nicht so recht, was uns hier widerfahren ist.
Wir preschen immer wieder vor und versuchen Leben und Klarheit und Verstehen in diese Leere zu bringen, aber mit wenig Erfolg.
Ganz andere Dinge bewegen sich hingegen durch diese Leere hindurch:
Wer die Nachrichten verfolgt, sieht immer wieder einen Beitrag auf dem eine Person mit einem Plakat durch das Bild geht, auf dem steht „Gott, wo warst du?“ Die Frage nach dem Sinn und Warum dieser Tat bewegt sich durch die Leere.
Und dann tauchen auch Menschen in dieser Leere auf, die sich umarmen, die gemeinsam Gottesdienste oder Gedenkveranstaltungen besuchen, die gemeinsam Blumen und Kerzen vor der Albertville-Realschule und anderswo niederlegen, die für einander da sind und gemeinsam Stille halten.
Und noch etwas geistert geradezu durch diese Leere hindurch: eine Schülerin hat mich darauf hin angesprochen. Sie sagte: „Die SchülerInnen von Winnenden wollen nicht mehr in ihre Schule gehen, weil sie befürchten, dass der Geist der Verstorbenen noch dort ist, vor allem der des Attentäters“. Weniger Betroffene würden vielleicht sagen: Ein Ort, an dem kein guter Geist mehr herrscht.
Alle diese Beschreibungen sind wahrlich keine objektive Analyse der schrecklichen Ereignisse, sie sind eher persönliche Eindrücke, innere Bilder. Mehr habe ich nicht.
„Für einander Seelsorger sein“ ist für mich ein wichtiger Satz Martin Luthers, der die Gemeinschaft in der Kirche beschreiben soll, aber der in einer Situation wie dieser für uns alle gelten sollte. Füreinander SeelsorgerInnen sein könnte für uns alle, jung und alt, aus allen Konfessionen heißen: Die Leere und die Fragen mit denen wir alle konfrontiert sind, auch miteinander aus zu halten, füreinander da zu sein – im Gespräch und in der Stille. Er könnte heißen, schwierige Bilder, die auf der Seele lasten, ernst zu nehmen und sich und anderen die Zeit geben, die es braucht, dass Wunden anfangen können zu heilen. In der Hoffnung, dass so ein guter Geist zurückkehren kann in unsere Leere, vielleicht sogar - dass dies schon ein guter Geist ist.
Die wöchentlichen Andachten
evangelischer bzw. ökume-
nischer Autorinnen und Autoren (Angedacht KWZ
und Zum Sonntag, LKZ)
werden zeitnah in diesem
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