Andacht- und Predigt Archiv
Ich gehe über den Weihnachtsmarkt
Veröffentlicht am Sa, 10.12.2011
Ich gehe über den Weihnachtsmarkt
Ich gehe über den Weihnachtsmarkt. Der Duft von Glühwein, von Maronis, von Würstchen und Waffeln zieht durch meine Nase. Die Augen sind von den vielen Lichtern gehalten. Die Ohren hören im verhaltenen Stimmengewirr den Klang von Weihnachtsliedern. Die Kindheit taucht auf. Erinnerungen werden wach. Die verloren geglaubte Sehnsucht einer heilen Welt holt mich ein. Die beiden Kirchen sind wie stumme Zeugen meiner vergangenen Gefühle. Warum mir gerade dieser Satz in den Sinn kommt: „Du suchst und findest uns, ewiges Licht?“
Ich gehe über den Weihnachtsmarkt. Mit mir geht das Versprechen, das mehr ist als diese banale Behauptung der Werbestrategen: „Weihnachten wird unterm Weihnachtsbaum entschieden.“ Weihnachten wird in mir entschieden. Das kraftvolle Licht will in mich fallen. Das schwache Kind will in mir geboren werden. Es will unser Trost und unsere Freude sein. Aufrichten will es mich zu einem mutigen Leben, das sich nicht dem „Verhängnis“ beugt. Das Kind lädt mich zu einem solidarischen, zu einem nachhaltigen Leben ein. Es wehrt sich mit mir gegen den Verschleiß von Ressourcen, gegen die Zerstörung von Gewachsenem, gegen den Wahn Gigantisches zu bauen.
Ich gehe über den Weihnachtsmarkt. Ich bin auf der Suche nach dem anderen Leben, das so beginnt:
Gib deinem Herzen ein Zeichen, / dass sich die Winde drehn. / Hoffnung ist ohne gleichen, / wenn sie die Göttlichen sehn.
Richte dich auf und verharre / still in dem großen Bezug; /leise löst sich das Starre, / milde schwindet der Bug.
Risse entstehn im Verhängnis, / das du lange bewohnt, / und in das dichte Gefängnis / flößt sich ein fühlender Mond (R. M. Rilke).
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