Beide Seiten sind herausgefordert
Veröffentlicht am Fr, 08.05.2015
von Hans-Martin Brombach
Pastor / Evang. Method. Kirche, Sonstige Dienste
Irgendwie hat es lange kein Lehrer geschafft, dieses Datum in meinem Kopf auch mit dem für unser Land wichtigen Ereignis zu verbinden: dem Jahrestag der Kapitulation Deutschlands am Ende des Zweiten Weltkrieges. Morgen jährt sich dieser Tag zum 70. Mal.In Gesprächen mit Menschen, die in irgendeiner Form noch den Krieg miterlebt haben, fallen die Reaktionen auf die vielen Gedenkfeiern sehr unterschiedlich aus. Die einen wollen die Erinnerungen möglichst weit wegschieben und nicht viel darüber reden. Bei anderen sprudeln die Erinnerungen förmlich heraus und man hat den Eindruck, sie wollen etwas von dem Erlebten loswerden. Andere reden über ihre Dankbarkeit für den nun schon 70 Jahre währenden Frieden in unserem Land, aber auch über ihre Ängste im Blick auf Krieg, Gewalt und Terror in dieser Welt, die uns die Medien in die Wohnzimmer übertragen, in der Regel aus Ländern, die bei der Betrachtung der Landkarte weit weg von uns sind.
Sehr nah kommen uns Krieg und Terror und die damit verbundene Not in dieser Welt, wenn in unserer Stadt Flüchtlinge ankommen, Menschen, die in ihrer Heimat keine Lebensperspektiven haben. Menschen, die gezeichnet sind von ihrer Flucht und all dem, was sie an Erfahrungen mit sich tragen. Auf einmal sind sie Teil unseres Gemeinwesens, Nachbarn. Menschen mit aktuellen Kriegserfahrungen in einem Land, in dem seit 70 Jahren die Waffen schweigen. Hier begegnen sie fremden Menschen, die mehrheitlich noch nie Krieg und Verfolgung am eigenen Leib erfahren haben. Eine Herausforderung für beide Seiten. Nicht nur deshalb, weil man verschiedene Sprachen spricht, in einer anderen Kultur beheimatet ist oder einer anderen Religion angehört. Diese Fremdheit zu überwinden ist Friedensarbeit. Die Öffnung für die Erfahrungen anderer mir noch fremder Menschen, ob sie nun Nachbarn oder Flüchtlinge sind, ist Grundlage einer globalen Friedensarbeit. Im Kleinen begonnen, kann sie Kreise ziehen wie der Stein, der ins Wasser fällt. Der 9. Mai ist dafür ein Anstoß als Denk- und Danktag.
Von dem österreichischen Theologen Martin Gutl stammen folgende Zeilen - als Denkanstoß:
Die Anderen
Sie essen neben uns,
sie reden neben uns,
sie schweigen neben uns,
sie feiern neben uns,
sie trauern neben uns,
sie verbittern neben uns,
sie verzweifeln neben uns,
Wie anders sind sie wirklich?
Sie haben andere Ansichten über Politik und Religion,
über Fußball und Musik.
Sie machen andere Witze, sie tragen andere Kleider,
sie richten ihre Häuser anders ein.
Weil sie äußerlich anders sind, sind sie uns fremd.
Im Grunde sind sie uns ähnlich.
Alle haben Sehnsucht nach Liebe.
Doch so gründlich denkt man nicht.
Noch immer quält uns das ererbte Vorurteil wie eine Erbschuld.
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