Angedacht
Veröffentlicht am Fr, 14.07.2006
Morgens kurz nach halb acht gehen sie montags bis freitags um fürs Leben fit zu werden. Es sind bis zu 35 Schulstunden in jeder Woche, die Schüler auf ihren Stühlen sitzen, aufmerksam sein müssen, dem Unterricht folgen und sich mit Themen beschäftigen, die sie mehr oder weniger interessieren. Dazu kommen die Hausaufgaben, das Wiederholen des Stoffes und –nicht zu vergessen- das regelmäßige Lernen auf Klassenarbeiten, wobei dann der Stoff der letzten Wochen noch einmal durchgekaut wird. Nach der Arbeit wird das Gelernte schnell wieder vergessen. Der Kopf muss frei werden für das, was neu zu lernen ist.Schüler sind oft schon mit zwölf oder dreizehn Jahren weit von einer 40- oder 45-Stundenwoche entfernt. Sie müssen länger arbeiten. Bei vielen Schülern kommt hinzu, dass ein Instrument gelernt wird oder Sport mehr oder weniger als Leistungssport getrieben wird.
Wo bleibt Platz für Erholung? Woher die Zeit nehmen für mitmenschliches Engagement? Etwa in der Schülermitverwaltung, in der Kirche oder auch nur in der eigenen Familie. Es gibt Großeltern, die sich gerne mit ihren Enkeln beschäftigen würden, die doch keine Zeit für sie haben. Selbst in Sachen Konfirmandenunterricht ist es schwierig Termine zu finden, an denen die Kinder sich noch Zeit nehmen können. Es wird von vielen so erlebt, dass da noch einmal etwas draufgesattelt wird: ein zusätzlicher Termin, für den kein Platz mehr im Kalender ist.
Es mutet naiv an, dass jetzt der Vorschlag kommt, die Schulferien zu verkürzen, sicher mit dem gut gemeinten Hinweis, dass das Zuviel an Arbeit auf mehr Kalenderwochen verteilt werden könne und so eine Entlastung möglich wäre. Ganz abgesehen davon, dass bei dem schönen Wetter, das zur Zeit herrscht, bei dem sich Schüler und Eltern nach den Ferien sehnen, solche Vorschläge nicht auf fruchtbaren Boden fallen.
Besser wäre es die Lehrpläne zu überarbeiten, Stoff zu streichen, zu sortieren, was wichtig ist und worauf verzichtet werden kann. Aber dafür benötigte man einen langen Atem. Das lässt sich nicht spektakulär darstellen und damit ist keine Medienpräsenz zu erreichen. Und doch wäre gerade das besonders dringend. Denn die Kompetenz um das Leben zu meistern wird nicht dadurch erworben, dass man sich möglichst viel an Wissen eintrichtern lässt, Wissen, das nach dem Abfragen, nach der Klassenarbeit, vergessen wird. Kompetenz fürs Leben wird vielmehr dadurch erworben, dass eigene Fähigkeiten –und dazu gehört auch erlerntes Schulwissen- in mitmenschlichem Engagement erprobt und ausgebaut werden. Ein Beispiel dafür: Ein Vierzehnjähriger kann fürs Leben unendlich viel lernen, wenn er eine Kinderkirchgruppe oder eine Jungschargruppe in freier Rede für ein Thema zu begeistern versucht. Aber für solches Engagement fehlt den meisten Schülern die Zeit.
Pfarrer Hansjürgen Bohner - Kornwestheim
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