Andacht- und Predigt Archiv
Ehrliches Gedenken
Veröffentlicht am Fr, 18.11.2022
von Horst Rüb
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Kornwestheim - Pfarramt Martinskirche
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Am Grab halten mehrere Leute eine Rede. Sie sprechen über die Leistungen des Verstorbenen, seinen Einsatz für das Gemeinwohl. Wie tapfer er seine unheilbare Krankheit getragen hat und wie geduldig und freundlich er dabei doch immer gewesen ist.
Elke kannte ihn jedoch anders: Angst hat er gehabt vor dem Sterben, und geduldig war er überhaupt nicht. Manches Mal sind ihm die Nerven durchgegangen, vor allem in der letzten Zeit. Die Familie hat sehr darunter gelitten.
Nach der Beerdigung ist Elke elend zumute. Sie fühlt sich irgendwie schuldig. Sie denkt an die vielen Probleme, die sie mit ihrem Vater hatte, und daran, dass er am Grab nur gelobt wurde. Es ist wie ein Riss, der mitten durch sie hindurchgeht. Darf sie das überhaupt, noch denken, dass ihr Vater eben auch ein schwieriger Mensch war, jetzt, wo er tot ist?
In der Trauer und Erinnerung ehrlich zu bleiben ist nicht immer leicht. Dass ein Mensch auch Fehler und Schwächen hatte, das wird im Rückblick oft zugedeckt. Vielleicht weil es allzu sehr die eigenen Schattenseiten spüren lässt.
Aber zur Erinnerung an einen nahestehenden Menschen, der gestorben ist, gehört Ehrlichkeit. Das Gedenken ist liebevoller, wenn man den ganzen Menschen vor Augen hat, so wie er war. Mit allen positiven Seiten aber auch mit allen Fehlern und Schwächen. Befreiend ist dabei das Wissen, dass alle, Lebende und Tote, von der Vergebung Gottes leben.
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