Der Zauber der Mehrstimmigkeit
Veröffentlicht am Fr, 05.11.2021
von Martin Mohns
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Kornwestheim - Pfarramt Thomaskirche
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Das begann im Mittelstufenchor, wo ich mich erst mal in die »falsche« Stimme gesetzt habe (Sopran). Das ging dort weiter, wo man am Lagerfeuer oder anderen Orten gemeinsam gesungen und begonnen hat, eine zweite Stimme zur Hauptmelodie zu improvisieren. Und immer da, wo mir in einem Lied Mehrstimmigkeit begegnet, da passiert etwas mit mir, das im Moment der Einstimmigkeit noch nicht da war. Es ist so, als würde ich diese Abschnitte nochmal mehr fühlen als die davor.
Warum eine gepflegte Mehrstimmigkeit so in mir resoniert? Nun, vielleicht ja deshalb, weil insgesamt einfach mehr resoniert, wenn mehr Menschen singen. Weil mehr Luft bewegt wird als wenn nur eine Person singt. Vielleicht auch deshalb, weil es eine Kunst ist, gute mehrstimmige Sätze zu schreiben, die sich gegenseitig ergänzen und sich nicht in die Quere kommen. Weil ich dadurch nochmal auf andere Weise wahrnehme: die Künstler*innen achten auf jedes Detail. Sie bringen ihrem Musikstück echte Wertschätzung entgegen.
Das alles spielt mit hinein in das, was ich den Zauber der Mehrstimmigkeit nenne. Aber ich denke, dass für mich eine weitere Komponente entscheidend ist. Sie ist so simpel wie logisch: bei der Mehrstimmigkeit geht es um die Mehrstimmigkeit. Nicht darum, dass sich eine Stimme in den Vordergrund stellt und nur sie gehört wird. Sondern das miteinander ein Klang entsteht, den eine Stimme allein gar nicht produzieren kann. Und da, wo sich Töne verbinden und in einer Harmonie aufgehen – da erlebe ich einen großen Zauber.
Ich wünsche ihnen zwei Dinge. Erstens: dass sie in einen Chor gehen. Es kann auch ein Konzert sein, aber vielleicht ja doch auch einer, in dem Sie selbst mitsingen. Erleben sie das Wunder der Mehrstimmigkeit mit allen Sinnen. Und zweitens: dass sie das Wunder der Mehrstimmigkeit in ihrem Alltag spüren. Wie es ist, wenn es nicht nur auf einen selbst ankommt. Sondern wie das Leben reicher wird, wenn wir uns auf andere einlassen und ihre Stimmen in unserem Leben resonieren.
Anspieltipp auf YouTube: Local Natives - When Am I Gonna Lose You (Acoustic)
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