Veröffentlicht am Fr, 13.09.2024
von Stefanie Henger
Pfarrerin, Evang. Kirchengemeinde Kornwestheim - Pfarramt Heilig-Geist-Kirche
Der Blick schweift zum Pfeiler – der wirkt massiv wie eine Kathedrale. An ihm macht sich die Brücke fest. So entstehen 2 Bögen. Sie wirken wie zwei 2 Gucklöcher in die Welt dahinter: Häuser, Fluss, Wald und nochmal eine Brücke.
Warum setzt sie sich mit ihrem orangenen T-shirt einfach in den Fluss?
Das ist doch ein bisschen verrückt!
Warum verlässt sie den normalen Weg?
Vielleicht übt sie sich darin, mal anders zu sein.
So oft ist man ja normal und es fällt einem schon gar nichts anderes mehr ein als das, was man schon immer gedacht und getan hat. Man sieht gar nichts anderes mehr als das, was man schon immer gesehen hat.
Manche Menschen gehen deshalb in den Urlaub. Um fernab vom Normal und Alltäglich sich selbst und die Welt anders zu erleben. Der andere Geschmack und Geruch, die ungewohnte Sprache, die neue Landschaft und die Begegnungen lösen etwas in ihnen aus und sie begegnen sich selbst neu.
Manche Menschen suchen sich deshalb Orte, wo sie innehalten können und mal anders sein können. Orte, wo sie sich in ihrem „Normal-normal“ unterbrechen und sich selbst und die Welt neu sehen können.
Für mich ist das der Besuch einer Kirche, eines Gottesdienstes – und manchmal ist es auch ein stiller Ort in der Natur – gerne mit Wasser…
Da spüre ich, dass die Welt mehr ist als das, was ich sehe und erfahre, dass ich mehr bin als das „Normal-normal“. Ich spüre, dass da ein Gott ins Weltenspiel kommt, den ich nie greifen kann, aber der mir zugewandt bleibt – in allem, was ich bin und tue, was ich sage und klage.
So nehme ich mir Zeit, Neues zu sehen.
In meiner Vorstellung setze ich mich anstelle der Frau in den Fluss. Spüre das Wasser an den Füßen. Höre die Stromschnellen. Ich unterbreche meinen Alltag, mein Normal-normal.
Ich merke, wie klein ich bin – und dass ich ein Teil des Ganzen bin. Ich werde mir bewusst, dass ich mit meiner kleinen Kraft viel tun kann, dass es auf mich ankommt. Ich kann so viel anders und besser machen.
Und gleichzeitig verstehe ich, dass trotzdem das Ganze nicht von mir abhängt. Dafür ist eine andere Kraft, eine andere Macht zuständig: Gott. Mein Selbstbild rückt sich zurecht. Das Wasser fließt an den Füßen vorbei, die Luft ist feucht. Ich atme durch.
Was würden Sie denken, wenn sie sich in diesen Fluss setzten? Probieren Sie es doch kurz aus.
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