Eine übervolle Seele
Veröffentlicht am Fr, 17.02.2023
von Ulrich Theophil
Pfarrer, Evang. Kirchengemeinde Kornwestheim - Pfarramt Johanneskirche
Pfarrer, Evang. Kirchenbezirk LB - Bezirksämter
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Ein Beben, wie das in der Türkei und in Syrien, macht sprachlos. Menschen sind machtlos und sind dem in aller unerbittlichen Härte ausgeliefert. Ein solch erschreckendes Beben mit all seinen so fatalen Auswirkungen überfordert Menschen mit all ihren Überlebensmöglichkeiten. Wie sollen Menschen weiterleben, wenn sie ihrer Familien beraubt wurden, wenn sie ihrer Bleibe entrissen wurden, wenn sie um das nackte Überleben in kalten Nächten kämpfen müssen, vor allem in Nordsyrien, wo nicht einmal Hilfsgüter in dem Maße eintreffen, wie es nötig wäre. Was der Krieg nicht zerstört hat, hat nun das Erdbeben geschafft. Die abgrundtiefe Trauer, die eigene Verzweiflung ist den Menschen ins Gesicht geschrieben. Was kann da überhaupt helfen? Was kann wenigstens ein kleines Stück weit trösten? Ich hoffe, dass das Vertrauen zum Leben selbst nicht zerstört wurde. Und hoffentlich bleiben Menschen fähig, sich Gott zuzuwenden, gerade in solchen Lebenslagen, in denen fast alles im eigenen Leben zusammenbricht. Syrische Christen finden sich vermutlich wieder in den Worten aus Psalm 88,4-6: Denn meine Seele ist übervoll an Leiden, und mein Leben ist nahe dem Totenreich. Ich bin denen gleich geachtet, die in die Grube fahren. Ich bin wie ein Mann, der keine Kraft mehr hat. Ich liege unter den Toten verlassen, wie die Erschlagenen, die im Grabe liegen, derer du nicht mehr gedenkst und die von deiner Hand geschieden sind.
Ein solches Beben erschüttert. Das Klagen bei den Menschen ist groß, das Entsetzen ist groß. Das nimmt sich seinen Raum. Das braucht seine ganz eigene Zeit, denn die Seele fordert es ein. Doch was kann die Seele alles aushalten, wenn der eigene Kampf zum Überleben auch so viel zusätzliche Kraft kostet? Wie verständlich ist das, wenn Verzweiflung in Wut umschlägt. Es wiegt sehr schwer, wenn menschliches Leid, wenn der Tod von vielen Menschen auch durch menschliches Versagen im Vorfeld mit verursacht wurde. Das hat menschenverachtende Züge.
Was kann helfen? Es braucht aufrichtige Solidarität unter Menschen. Humanitäre Hilfen, die schnell greifen, ganz einfach und unbürokratisch. Die Welt muss lernen in solchen Krisen zusammenzuhalten. Wir Menschen stehen immer wieder wie ohnmächtig vor den unvorstellbaren Mächten der Natur. Unsere Erde ist gebrechlich, sie ist verletzlich, sie ist und bleibt in Bewegung. Die menschliche Seele kann dies nicht alles alleine tragen. Ist die Seele übervoll, kann sie hoffentlich weiterfließen zu Gott hin.
Die wöchentlichen Andachten evangelischer bzw. ökumenischer Autorinnen und Autoren unter Angedacht (KWZ) werden zeitnah in diesem Archiv erfasst.
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