Angedacht
Veröffentlicht am Fr, 06.10.2006
von Hirschbühl, Guido
Welche Religion ist die beste? Welcher Glaube kann für sich beanspruchen, die ganze Wahrheit zu haben? Gläubige aller Religionen werden sagen: meine Religion ist die beste und wahrste. Unter einer Voraussetzung stimmt diese Antwort. Wenn ich sage: meine Religion ist die für mich beste und wahrste. Ich bin in ihr aufgewachsen. Sie gibt mir Halt und Kraft. In ihr begegne ich Gott und werde von ihm beschenkt.
Die Antwort wird aber in dem Moment falsch und gefährlich, in dem ich den Anspruch erhebe, dass meine Religion die für alle Menschen einzig richtige und wahre zu sein hat. Wer seine eigene Überzeugung zum Massstab für alle Menschen macht, der ist in der Gefahr, seinen Glauben anderen notfalls mit Gewalt aufzudrängen. Das lehrt uns die Geschichte der Religionen zur Genüge.
Der derzeitige Dalai Lama spricht mir aus dem Herzen, wenn er sagt: „Es muss verschiedene Religionen geben, weil die Menschen unterschiedlich sind.“ Alle Religionen sind unvollkommen, weil wesentlich von uns Menschen mitgeprägt, und sie alle sind Wege zu Gott und Wege Gottes zu uns.
Bildlich zeigt sich das für mich an Rosettenfenstern, die in vielen Kirchen zu finden sind. Sie haben meistens viele Segmente, die den Rand mit der Mitte verbinden. Es ist nicht entscheidend, auf welchem dieser Segmente ich vom Rand zur Mitte hin gehe. Entscheidend ist, dass ich nicht unschlüssig an der Peripherie entlang im Kreis herum renne, sondern mich für einen Weg in die Mitte – zu Gott hin - entscheide und diesen dann auch gehe.
Ist es so schwer, den Menschen anderer Religionen zuzugestehen, dass ihre Wege auch zur Mitte führen? Dort im Zentrum begegnen sie und wir Gott, und dort begegnen wir auch einander.
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